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Befreiungsschlag (2004-06-17 - 6:29 a.m.)

Diesen Artikel hat mir gestern mein Chef in die Hand gedr�ckt, den ich als �usserst passend f�r meine jetzige Arbeitssituation befinde. Scheint mir ein wirklich intelligenter Mann zu sein mit einem Blick f�r's Wesentliche, dieser Herr Fritjof.
Frage mich allerdings, was flamboyant ist *gr�bel*

Ein Gespr�ch mit Frithjof Bergmann �ber eine neue Arbeit und eine neue Kultur. Von Gundula Englisch

Noch nie war es so einfach, sich aus dem W�rgegriff der Lohnarbeit zu befreien. Doch anstatt den goldenen K�fig zu verlassen, bleiben wir hocken und tun so, als genie�en wir alle Freiheit dieser Welt. F�r Frithjof Bergmann ist das schierer Selbstbetrug. F�r ihn sind die deutschen Unteroffiziere Sklaven, die von einem Arbeitslager zum anderen fahren. Weder Beruf noch Freizeit stimmen froh. Dabei ist es nur ein kleiner Schritt in eine unvergleichlich intelligentere, humanere, sinnlichere und flamboyantere Welt. Wir m�ssen ihn nur endlich wagen.
Frithjof Bergmann lehrt Philosophie und Anthropologie an der Universit�t von Michigan in Ann Arbor und ist Gr�nder des dortigen Centers of New Work. Der geb�rtige �sterreicher hat zahlreiche B�cher ver�ffentlicht und ber�t Firmen, Institutionen und Regierungen in aller Welt zur Zukunft der Arbeit und zum Innovationspotenzial neuer Technologien.

Herr Bergmann, in Ihrem Buch entwerfen Sie die Vision einer "Neuen Arbeit" als Alternative zu unserer gegenw�rtigen Arbeitswelt, die immer mehr Menschen ausschlie�t, entwertet und ersch�pft. Was steht f�r Sie ganz oben auf der M�ngelliste des Lohnarbeitssystems?

Ich �rgere mich immer wieder dar�ber, dass man sich in Deutschland blo� auf die eine gro�e Krankheit des Arbeitssystems konzentriert und zwar auf die Arbeitslosigkeit. Zum einen wird damit der irrige Eindruck erweckt, dass das Leben f�r alle, die Arbeit haben, s�� und in bester Ordnung ist. Zum anderen aber wird damit �berdeckt, wie lang die M�ngelliste des Lohnarbeitssystems in Wirklichkeit ist und wie komplex und vielf�ltig seine Pathologie. Das beginnt zum Beispiel bei der enormen Kluft zwischen Arm und Reich, die dieses System erzeugt. Und setzt sich fort mit dem Widerspruch, dass einerseits eine gro�e Masse an einem Mangel an Arbeit leidet, w�hrend andererseits immer mehr Menschen unter einem Zuviel an Arbeit zugrunde gehen. Eine weitere schlimme Pathologie: Viele Menschen arbeiten nur, um in Lohn und Brot zu stehen - aber weit unter dem Niveau ihrer Begabungen, F�higkeiten und Talente. Dabei gibt es doch einen geradezu grenzenlosen Bedarf an phantasievoller und kreativer Arbeit. Das ist eine erschreckende Verschwendung. Aber schlimmer noch: Sehr viele Menschen wissen, dass sie auf ihren Job nicht die geringste Lust haben, doch sie halten still und warten das Wochenende ab. Sie erleben ihre Arbeit also wie eine milde Krankheit - eine Erk�ltung, die in wenigen Tagen wieder vorbei ist. Und das trifft nicht nur f�r Flie�bandarbeiter zu, sondern auch f�r h�here Angestellte, �rzte, Rechtsanw�lte und so weiter.

Der Mensch - gefangen im W�rgegriff der Lohnarbeit. Das klingt nach einer l�ngst vergangenen Epoche. Ticken wir immer noch im Takt des Industriezeitalters, obwohl die Gegenwart doch immer wieder freie Selbstentfaltung und grenzenlose M�glichkeiten predigt?

Ja, das ist schon ein Gegensatz, der mich zutiefst beeindruckt. In der Berufswelt gibt es eine nie gekannte Vielfalt an Jobs. Und es gibt bei den Menschen die unterschiedlichsten Bestrebungen, sich selbst zu leben und zu genie�en. Aber dieselben Menschen, die diese Kultur der Vielfalt und der Individualit�t ein- und ausatmen, gehen morgens zur Arbeit wie die deutschen Unteroffiziere - in Reih und Glied mit den H�nden an den Hosenn�hten. Das ist so ein krasser Widerspruch, aber aus diesem Widerspruch sch�pfe ich auch Hoffnung, denn diese Menschen leben mit dem Kopf und dem K�rper in einer neuen Kultur, die �berhaupt nicht mehr zum alten Arbeitssystem passt.

Aber ist das nicht ein furchtbarer Selbstbetrug - im goldenen K�fig der Lohnarbeit zu sitzen und so zu tun, als genie�e man alle Freiheit dieser Welt?

Die Illusion, dass die westliche Welt die Freiheit mit L�ffeln gefressen hat und wir sie als Medizin den anderen Menschen eintrichtern m�ssen - wie zum Beispiel jetzt im Irak - das ist ein verheerender Irrtum. Sicher stellt die Demokratie etwas sehr Wichtiges dar. Sie hat als System einige f�rchterliche Dinge abschafft, aber sie hat absolut nicht dazu gef�hrt, dass die Menschen sich wirklich entwickeln k�nnen. Man muss sich nur in der U-Bahn umschauen - da bekommt man den Eindruck, als w�rden die Menschen von einem Arbeitslager zum anderen fahren. Es sieht gar nicht fr�hlich, gar nicht lebendig aus. Freiheit besteht nicht nur darin, eine Wahl zwischen zwei Alternativen zu haben, von denen man weder die eine noch die andere will. Sie besteht auch nicht darin, die Menschen endlos mit v�llig unerheblichen Wahlm�glichkeiten zum Narren zu halten. Um etwas, das den Namen "Freiheit" verdient, nahe zu kommen, muss man die Menschen in den Stand versetzen, das zu tun, was sie wirklich tun wollen. Das zu erm�glichen ist das entscheidende Merkmal einer freien Kultur und einer freien Gesellschaft. Und genau das ist auch seit 25 Jahren der Leitgedanke der Neuen Arbeit.

Sie haben im Laufe der Jahre viele Menschen in unterschiedlichen Projekten mit der Frage konfrontiert, was sie "wirklich, wirklich" arbeiten wollen - vermutlich haben Sie oft geh�rt: "Am liebsten gar nicht" ...

Diese Lust auf Nichtstun ist als Wunschdelirium eines Sklaven mit Sonnenstich vollkommen verst�ndlich. Aber den Menschen wird auch rasch klar, dass dieses Nichtstun als Ziel des Lebens einfach zu klein ist. Uns geht es auch nicht darum, dass wir die Menschen beim H�ndchen nehmen und schnell zum n�chsten Traumjob f�hren oder dass wir ihnen helfen, eine Ich-AG zu gr�nden. Zur Neuen Arbeit geh�rt erstens die ernsthafte Suche nach einer Arbeit, die dem einzelnen Menschen wirklich Kraft gibt, die ihn lebendiger macht und als Person voranbringt. Und zweitens die Entwicklung und Einf�hrung einer anderen Wirtschaftsform - einer Wirtschaftsform, in der die Produktion nicht mehr von Lohnarbeit abh�ngig ist. Dieser Wandel wird uns aus dem Industriezeitalter hinaus und direkt in die postindustrielle Zeit hineinkatapultieren.

Wie soll das funktionieren?

Wir stehen heute vor der M�glichkeit, einen unerh�rten Aufstieg zu erleben, eine Arbeitswelt zu schaffen, in der die Menschen �konomisch und materiell unabh�ngiger vom Jobsystem sein k�nnen. Der Schl�ssel dazu ist unsere hoch entwickelte Technologie. Wir haben l�ngst Ph�nomenales mit unserer Technologie entwickelt. Und es muss m�glich sein, diese raffinierte Technologie dazu zu benutzen, dass sich kleine Gruppen von Menschen all das selbst herstellen, was sie zu einem sinnvollen, freudigen und erf�llten Leben brauchen - also nicht nur Tomaten ziehen oder Marmelade einkochen, sondern ihre eigenen K�hlschr�nke, Mikrowellen, M�bel oder Handys. Das nennen wir High-Tech-Eigenproduktion und das k�nnen wir heute ganz realistisch von den technologischen Fakten her besprechen.

Einmal abgesehen von der technischen Realisierbarkeit - warum sollten die Menschen Spa� daran haben, ihre eigenen Mikrowellen, K�hlschr�nke und Autos herzustellen - wo sie doch heute mehr denn je die Krone des K�nigs Kunde tragen? Was sie dazu bewegen wird?

Ganz knallhart und einfach: die M�glichkeit, so zu arbeiten, wie sie wirklich, wirklich wollen. Eine immer gr��ere Anzahl unterschiedlicher Menschen merkt inzwischen, dass sie, wenn sie die Krone des K�nigs Kunde tr�gt, nicht nur mit Bargeld bezahlt. Sie merken, dass der versteckte Preis, den sie tats�chlich zahlen, ungleich h�her ist als die Summe, die sie auf den Tisch legen. Sie zahlen n�mlich mit ihrem Leben - damit, dass sie ein Leben lang die Arbeit als milde Krankheit erleiden, als etwas, das ihnen ihre Energie und ihre Selbstachtung raubt. Man merkt deutlicher und deutlicher die Irrationalit�t dieses Tauschgesch�fts. Aus materiellen Sachzw�ngen heraus opfert man gro�e Teile seines Lebens im Galeerenschiff der Jobarbeit, obwohl das l�ngst nicht mehr n�tig w�re. Das d�mmert mehr und mehr Leuten. Schauen Sie nur die jungen Menschen an, die ihre CDs brennen, ihre Fotos, Visitenkarten und was nicht noch alles selbst machen. F�r die ist es doch regelrecht gegen die Kultur, solche Dinge zu kaufen, das ist absolut uncool. Wir sind also eigentlich schon zwei Drittel des Weges gegangen, von dem Punkt aus, wo wir uns �konomisch selbstst�ndig gemacht haben. Es fehlt aber noch das letzte Drittel.

Wenn wir so nahe dran sind an einer neuen Arbeitswelt, warum versetzen wir dem maroden Jobsystem nicht endg�ltig den Todessto�?

Ich will ja nicht gleich den Todessto�. Ich sage auch nicht, dass wir unser Jobsystem v�llig �ber den Haufen schmei�en m�ssen. Ich betone vielmehr, dass es Alternativen dazu gibt. Wir haben jetzt durch die Technologie die M�glichkeit, eine Kultur zu schaffen, die unvergleichlich intelligenter, humaner, sinnlicher und flamboyanter ist als die alte Kultur. Ein Aspekt, dass wir vom alten System nicht loslassen k�nnen, ist vielleicht, dass wir aus Selbstqu�lerei und Masochismus darin verbleiben. Ein anderer ist, dass leider viele Menschen das Gef�hl haben, die gro�en Konzerne seien viel zu m�chtig, um eine solche Entwicklung hin zur Produktion ohne Lohnarbeit zuzulassen. Aber das ist ausgesprochen falsch. Nicht nur die Technologien sind definitiv auf der Seite des Kleinen. Auch die Grundtatsache, dass Menschen, die Arbeit tun, die sie wirklich tun wollen, die ihren Talenten und ihrem Gef�hl entspricht, ganz unvergleichlich produktiver sind als Menschen, die Arbeit einfach nur erdulden. Dies sehen die Firmen, Institutionen und Regierungen zunehmend ein und �ffnen sich f�r die Idee der Produktivit�t der Neuen Arbeit. Au�erdem sollen ja nicht alle gro�en Betriebe �berfl�ssig werden, und schon gar nicht total zerst�rt. Es geht hier nicht um ein Entweder-oder. Aber die �bermacht der Konzerne wird abged�mpft und langsam zur�cksinken auf ein normaleres, ertr�glicheres, vern�nftigeres, menschlicheres, demokratischeres Niveau. Wir werden wegkommen von der heutigen wirtschaftlichen Ohnmacht und Erpressbarkeit. Wir werden den Konzernen sagen: Wir sind nicht abh�ngig von euren Arbeitspl�tze, wir brauchen auch nicht unbedingt eure Produkte und wenn ihr Forderungen stellt, sagen wir einfach Nein. So sehe ich die Zukunft - nicht, dass alles zerschlagen und zerschmettert wird, sondern dass sich alles in eine Richtung entwickelt, die einfach menschlicher, kl�ger und fr�hlicher ist, als die, die wir jetzt haben.

Und wann werden wir in dieser Zukunft angekommen sein?

Da bin ich optimistisch. Wir leben momentan in einem merkw�rdigen Augenblick der Zeit, wo ganz gro�e Ver�nderungen an die T�r klopfen und es fehlt merkw�rdigerweise blo� an einem Denken, einer Einsicht, einem intellektuellen Schritt vorw�rts. Noch sind viele Menschen verstrickt in ihre Armut der Begierde, in die Unf�higkeit, ihre W�nsche - und zwar die wirklich gro�en - zu formulieren. Noch ist es vielen Menschen fremd, sich vorzustellen, was sie wirklich, wirklich tun wollen, was ihre Berufung ist. Noch befinden sich viele Menschen in Apathie und Gleichg�ltigkeit gegen�ber ihrer Arbeit und ihrem Leben. Aber wenn wir es fertig bringen, die Menschen aus ihrer Hypnose aufzuwecken, dann k�nnten wir in ein paar Jahren so weit sein. Es w�re auch gut so, denn wenn wir so weitermachen wie jetzt, kann das zur H�lle werden.

Gundula Englisch, Journalistin, Filmemacherin und Gesch�ftsf�hrerin der FutureLive GmbH bei M�nchen, arbeitet als freie Redakteurin f�r changeX.

Buch:
Frithjof Bergmann:
Neue Arbeit, Neue Kultur,
Arbor Verlag, Freiamt 2004,
432 Seiten, 24.80 Euro,
ISBN 3-924195-96-X
www.arbor-verlag.de

Weitere Informationen:
www.newwork-newculture.net

� changeX [07.06.2004] Alle Rechte vorbehalten, all rights reserved.

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